Geschichten

Beitrag veröffentlicht am: 21. Dezember 2004

Einleitung

Viele haben mich immer wieder gefragt, wie es mit dem Kontakt zu anderen Studenten aussieht. Ich kann nur sagen, ich habe nie zuvor eine so enge Gemeinschaft in so einer großen Gruppe erlebt. Zu unserer Gruppe gehören direkt etwa 40 Leute aus der ganzen Welt. Ich habe nie zuvor erlebt, dass es in solch einer großen Gruppe keine Alphatierchen oder Untergruppen gibt. Man kann mit wirklich jedem was unternehmen und man fühlt sich immer willkommen. Einziger Nachteil ist, dass zu unserer Gruppe nur etwa 3 oder 4 Schweden gehören.

Etwa die Hälfte der Gruppe kehrt nach Weihnachten nicht zurück nach Schweden, da sie nur ein Auslandssemester hier studiert haben. Das ist tragisch und bedrückend, ich habe noch nie zuvor einen solch großen Schmerz gesehen. Auf der anderen Seite, ich versuche ja immer positiv zu denken, kommen natürlich im nächsten Jahr neue Leute, wieder aus der ganzen Welt. Vielleicht ist ja das eine oder andere Land dabei, was bis jetzt noch nicht vertreten war. Wir werden sehen!

Heute möchte ich einige kleine Geschichten bzw. Erfahrungen niederschreiben, die mich bei dem Umgang mit den Leuten beeindruckt haben. Viele der hier beschriebenen Leute werde ich wahrscheinlich nicht wiedersehen, da sie schon wieder in ihrer Heimat sind. Es ist eine ziemlich lange Seite geworden, obwohl ich mich schon selbst versucht habe zu zügeln…

Der Chilene

Ich kannte ihn schon von einigen Kursen, da war mir dieser kleine Mann mit dem ständigen Lächeln aufgefallen. Während meiner Geburtstagsfeier hatte ich dann endlich mal Gelegenheit mich intensiver mit ihm zu unterhalten. Er kommt aus Chile und studiert in Schweden ebenfalls für seinen Master in Software Engineering, hat schon mehrere Jahre gearbeitet, ist inzwischen 30 aber immer noch taufrisch. Irgendwann fragte er mich, wie ich denn Günter Grass finde. Da traf mich der Schlag. Da kommt ein Mensch vom anderen Ende der Welt und will mit mir über Günter Grass diskutieren und ich Elch hab noch nicht mal ein Buch von ihm gelesen. Es stand schon immer ganz oben auf meiner Leseliste. Ich werde es natürlich dieses Weihnachten nachholen, aber trotzdem…

Die Iranerinnen

In unserem Haus wohnen auch 2 Iranerinnen. Als ich sie das erste mal traf war mir klar, dass sie nichts mit ihrer Religion am Hut haben. Und da lag ich dann auch ziemlich richtig, doch der Reihe nach.

Die eine von beiden ist studierte Elektroingenieurin und die andere studiert Betriebswirtschaft. Beide kommen aus liberalen Familien. Das bedeutet zu Hause gelten die ganzen Regeln nicht, die wir normalerweise mit Iran assoziieren. Dafür gelten die Regeln umso strikter im öffentlichen Leben. Im öffentlichen Leben müssen sie sich bedecken und haben wenig Rechte verglichen zu den Männern. Die Meinungsfreiheit ist allgemein sehr eingeschränkt. Sie meinen aber auch, dass die Regeln in den letzten 10 Jahren schon wesentlich gelockert wurden und Iran wäre in der Auslegung der Regeln liberal verglichen zu anderen Ländern wie Afghanistan. Ich habe auch Bilder von privaten Feiern gesehen und da gilt dann nichts mehr. Die Mädels sind dann genauso knapp bekleidet wie bei uns und Jungs und Mädels hocken genauso aufeinander. Das öffentliche Leben ist somit scheinheilig und hat nichts damit zu tun, wie die Menschen wirklich leben wollen.

Ich hab natürlich auch gefragt, wie man die Menschen unterstützen könnte, damit sie die Freiheit bekommen, die sie verlangen. Sie wissen es nicht, sie wissen nur, dass Wirtschaftsembargos und westliche “Befreiungskriege” nicht das Mittel sind. Diese Aktionen treffen immer nur die armen Menschen und nicht die Machthaber. Zumindest die Elektroingenieurin erwägt ernsthaft nicht in ihr Land zurück zu kehren, da ihr die Unfreiheit eine zu große Last ist.

Ich hab eine ganze Reihe von Bildern aus dem Land gesehen und es ist wirklich eine Schande, dass man dort nicht als Tourist hinfahren kann um die ganzen Kulturschätze zu bewundern. Der Iran gehört mit zur Wiege der Menschheit und entsprechende fast schon unglaubliche Kulturschätze sind vorhanden. Die beiden Iranerinnen bekochen uns auch regelmäßig und ich kann sagen, das Essen ist nicht so sehr verschieden zu deutschem Essen im Vergleich z. B. zur asiatischen Küche.

Im Bild unter diesem Text sieht man meinen Namen geschrieben in Farsi (Persisch). Farsi ist die Landessprache im Iran. Es wird das arabische Alphabet verwendet, allerdings sind beide Sprachen sehr verschieden. Wie im Deutschen gibt es Buchstaben mit entsprechend zugeordneten Lauten und Wörter werden aus den Buchstaben zusammengesetzt. Achso, es wird von rechts nach links gelesen und geschrieben!

Sebastian auf Farsi geschrieben, muss man natürlich von rechts nach links lesen!

Die Polen

Jeder nennt sie liebevoll die “Polish Community” - die polnische Gemeinschaft. Sie treten immer im Rudel von 4 oder 5 Mann auf. Sie teilen sich zu fünft eine 2 Mann Wohnung im Studentenwohnheim. Leider liegt ihr Wohnheim am anderen Ende der Stadt.

Einer von ihnen hat die Mutterrolle für sie alle übernommen. Er kocht für sie und er rührt den Alkohol an. Die anderen gehen dafür einkaufen und erledigen andere Sachen. Und ja, sie trinken nicht einfach Alkohol, sondern sie zelebrieren den Genuß. 3 Tage vor einer Feier wird Karamell zubereitet. Der Wodka wird dann mit diesem versetzt. Ist dann endlich die Feier gekommen, wird der Wodka mit Apfelsaft, Eiswürfeln, Zimt und einem Spritzer frisch gepresster Zitrone genossen. Es ist ein Ritual!

Zur allgemeinen Erheiterung hat auch beigetragen, dass die Polen über einen Generalschlüssel für alle Schlösser in ihrem Haus verfügen. Der Hausmeister hat wohl einen Fehler bei der Schlüsselausgabe gemacht, die Polen wissen selber nicht, wie es dazu gekommen ist. Ausgerüstet mit diesem Schlüssel brauchten sie natürlich keine Klingeln mehr, was manchmal zu lustigen Situationen geführt hat ;-)

Der Chinese

Ein Chinese, der die letzten Jahre in Neuseeland gewohnt hat, lebt auch in meinem Haus. Angeblich hat er ein Diplom in Informatik, aber er kann nicht mal die einfachsten Sachen am Computer erledigen. Neulich fragte er mich, wozu die “Einfg” Taste da ist. Er hat absolut keine Ahnung, wahrscheinlich hat er sich seinen Abschluss irgendwo gekauft.

Ansonsten, Bewegung scheint der Tod für ihn zu sein. Weiter als zur Hochschule oder zum Supermarkt habe ich ihn noch nie sich bewegen gesehen. Auch sonst versteckt er sich etwas in seinem Zimmer, auch wenn er schon chinesisch für uns gekocht hat. Und ja, sein chinesisches Essen schmeckt natürlich ganz anders als das, was man normalerweise im Chinarestaurant vorgesetzt bekommt.

Die Franzosen

Unsere Franzosen sind natürlich auch ein verrückter Haufen. Immer wenn unsere privaten Feiern am schönsten waren, haben sie sich in ein Auto gesetzt um nach Karlskrona in einen Club zu fahren. Das hat immer keiner verstanden :-)

Die Polen haben sich einen Spaß draus gemacht die Franzosen besoffen zu machen. Mit den anwesenden Deutschen hatten sie da weniger Glück, aber mit den Franzosen war es doch leichtes Spiel. Die Beweisfotos zeige ich aber lieber nicht, ansonsten könnte jemanden das Mittagessen vergehen.

Aber ich möchte ein anderes Foto zeigen. Genauer gesagt, es ist ein Ausschnitt aus einem Video. Die Franzosen, Kavalier wie sie nun mal sind, haben sich gedacht, dass das aktuelle Video “Call On Me” von Eric Prydz sexistisch ist und nur was für Männer bietet. Dieser Zustand musste natürlich behoben werden und so haben sie eine Version des Videos für Frauen gedreht. Das Ergebnis sieht man ja auf dem Bild…

Unsere Franzosen haben eine Version von Eric Prydz Call on Me für weibliches Publikum gedreht...

Die Moldawierin

Moldawien, wo ist das? Mir war ja klar, dass das wohl eine ehemalige Sowjetrepublik ist, aber dann hörte es auch schon auf. Mir war nicht mal klar, dass es ein eigenständiges Land ist direkt hinter Rumänien. Zum Glück habe ich die Moldawierin kennengelernt, ansonsten hätte ich das wahrscheinlich alles nie erfahren. Moldawien steht auf der Liste der vergessenen Länder ganz oben, leider. Dabei soll es ein reizvolles Land sein, geprägt sowohl von rumänischen, russischen und ukrainischen Einflüssen. Berühmt sind die Höhlen in der Nähe der Hauptstadt Chisinau und die Moldauklöster. Ein Viertel der Bevölkerung lebt und arbeitet im Ausland und dieser Teil der Bevölkerung überweist mehr Geld in das Land, als dort selbst produziert wird. Es ist ein armes Land.

Ich wollte an dieser Stelle eigentlich primär für das Land werben, aber natürlich möchte ich auch noch ein paar Worte über die Moldawierin schreiben. Sie spricht z. B. ein absolutes reines Englisch. Überhaupt ist mir aufgefallen, dass sehr viele Nicht-Europäer ein wesentlich besseres Englisch haben. Und dann kann sie tanzen. Sie zusammen mit einem unserer Franzosen waren das Tanzpaar. Wenn die beiden z. B. in der Disko losgelegt haben, dann hat sich immer sofort ein Kreis um sie gebildet und jeder dachte nur noch staunend an den Film “Dirty Dancing”. Leider kann man sowas schlecht auf einem Foto festhalten…

Die Spanierinnen

Meine Lieblingssprache bleibt Spanisch. Ich verstehe zwar kein Wort, aber die Sprache klingt einfach super. Ehrlich gesagt möchte ich nicht mal ein Wort verstehen, sonst könnte ich vielleicht nicht mehr den Klang genießen :-)

Die eine Spanierin ist ein unglaublich offener Mensch. Wir standen an einer Bushaltestelle, hatten absolut keine Frage wo es langgehen könnte, uns war alles klar und trotzdem hatte sie schon nach wenigen Sekunden wieder mit jemanden ein Gespräch nach dem Weg angefangen. Und so geht das immer bei ihr, ständig schleppt sie neue Leute an und wir müssen uns dann drum kümmern, die Leute wieder los zu werden :-)

Die andere Spanierin hat eine unglaubliche Stimme. Man stelle sich eine Disko mit laut dröhnender Musik vor und dazwischen hört man dann ihre Stimme. Ehrlich!

Spanier sind nicht gleich Spanier, hab ich erfahren müssen. Zwei von ihnen kommen nämlich aus dem Baskenland, während die andere aus Madrid stammt. Kommt das Gespräch auf dieses Thema, geht es heiß her. Natürlich sind alle gegen die Gewalt, aber Autonomiebewegung unterstützen die Baskinnen dann schon. Es ist merkwürdig, hier in Deutschland käme doch niemand auf die Idee z. B. Bayern in einen eigenen Staat umwandeln zu wollen und das obwohl die Bayern ja nun wirklich sehr merkwürdig im Vergleich zu den anderen Deutschen sind! ;-)

Der Pakistani

Mehrere meiner Belege hab ich zusammen mit einem Pakistani bearbeitet und auch sonst hat er natürlich in den verschiedenen Seminaren immer fleißig mitdiskutiert. Von dem dort Gesagten muss man annehmen, das ganze Land ist militärisch durchdrungen. Softwarefirmen werden wie Kampfeinheiten geführt mit einem starken und (hoffentlich) allwissenden “Führer” an der Spitze.

Der einzelne Mensch zählt nichts in Pakistan. Wenn wir im Fernsehen von Anschlägen mit mehreren Dutzend Toten und Verletzten hören, dann ist unser Entsetzen wahrscheinlich größer als das der meisten Pakistaner. Wenn sie nicht unmittelbar betroffen sind, ignorieren sie solche Meldungen meist und führen ihr Leben normal weiter. Der Pakistani meint, die Menschen haben sich daran gewöhnt und außerdem gibt es einfach so viele von ihnen… Überhaupt scheint die Einstellung zum Leben der Mitmenschen eine andere zu sein. Er trägt immer eine Schusswaffe bei sich, wenn er in Pakistan unterwegs ist. Und er hat schon mehrmals erlebt, wie auf offener Straße Menschen erschossen wurden. In solch einer Situation, sagt er, geht man weiter und ist froh, dass es einem selbst nicht getroffen hat.

Er ist verheiratet. Da er aber noch nicht für den Unterhalt seiner Frau sorgen kann, lebt sie noch bei ihren Eltern. Wenn sie sich treffen wollen, dann muss er sie bei den Eltern abholen. Auf meine Frage ob es eine Heirat aus Liebe war, hat er nicht klar geantwortet. Er meinte die Familien und sie beide kannten sich schon lange. Beide fanden sich nett und unter den gegebenen Umständen war es zwangsläufig, dass sie heiraten mussten.

Der Deutsche und der Georgier

Tja, und dann gibt es da noch diesen Georgier 2 Türen weiter und mich. Er sieht aus und verhält sich wie ein Russe, ist aber natürlich keiner. Er ist Georgier. Nichtsdestotrotz nennen wir ihn russischen Bär.

Trinken kann er auch wie einer, allerdings schläft er dann auch ziemlich schnell ein. Meist trinkt er soviel am Anfang, dass er dann in sein Zimmer schlafen geht und erst wieder rauskommt, wenn der beste Teil der Party vorbei ist. Einmal verschwand er um Mitternacht und kam erst um 4 Uhr morgens wieder raus, als alle schlafen gehen wollten. Er aber ging zielgerichtet in die Hochschule, angeblich um Emails abzurufen. Am nächsten Morgen konnte er sich natürlich an nichts mehr erinnern.

Und dann noch der Deutsche, also ich. Ich hab mich ja bemüht Schwedisch zu lernen, allerdings mit wenig Erfolg. Das hat aber auch was Gutes, wie folgende kuriose Geschichte zeigt. Ziemlich am Anfang meiner Schwedenzeit ging eine schwedische Email über einen unserer internen Hochschulverteiler. Ich las irgendwas mit Basketball. Da hab ich geantwortet weil ich dachte, die suchen vielleicht Leute zum Basketball spielen. Es stellte sich aber heraus, das sie einen Trainer für eine Basketballmannschaft suchen. Um es kurz zu machen, seitdem bin ich zusammen mit dem Georgier Baskettballtrainer. Wir trainieren etwa 2mal pro Woche eine Gruppe von Jugendlichen (12 bis 17 Jahre) und bekommen sogar noch Geld dafür. Die Gruppe besteht hauptsächlich aus Flüchtlingskindern, z. B. aus dem ehemaligen Jugoslawien, Kurdistan, Somalia, Indien, Uruguay und auch ein paar Schweden. Das Projekt wird finanziert von der Stadtverwaltung und es ist natürlich ein Versuch die Jugendlichen zu integrieren und auch von der Straße zu holen. Es ist schon merkwürdig, da kommen ein paar ausländische Studenten nach Schweden, um dort eine Gruppe von Ausländern zu trainieren und das Ziel ist die Integration…